Der Wecker klingelte und beendete eine erneut wenig erholsame Nacht in einem zu kleinen Bett in einer Kammer mit Badewanne in Toyama. Der Himmel war bewölkt und so war irgendwie auch meine Stimmung. Sandras Japan-Überdrüssigkeit hatte sich in der Nacht irgendwie auf mich übertragen, während sie mittlerweile ein anderes Leiden hatte: Sonnenbrand. Ihr kompletter Nacken- und Schulterbereich war so rot wie eine heiße Herdplatte und tat bei Berührung auch in etwa so weg – also ihr zumindest. Kaum scheint mal einen ganzen Tag die Sonne, schon ist sie verbrannt. Dabei sorgt sich doch bei mir aufgrund meiner noblen Blässe gefühlt jeden Tag jemand, ob ich nicht krank bin. Für uns sollte die Reise aber ja weiter gehen, also packten wir unsere Koffer (meiner hatte sein Kapazitätslimit mittlerweile wirklich erreicht) und ließen uns problemlos per Shuttlebus zum Bahnhof bringen – wohl gemerkt hatten wir auch weniger als dreißig Minuten vor Abfahrt keine Probleme ein Ticket zu bekommen. Die Dame an der Rezeption muss am Vorabend also tatsächlich sieben Minuten gemeint haben. Am Bahnhof stiegen wir zunächst in den Shinkansen nach Kanazawa um dort in den Thunderbird (oder wie Japaner ihn nennen „Thunderbirdo“) nach Kyoto zu steigen. Was wie ein hochmoderner, cooler Zug klingt, war in Wirklichkeit leider kein Hochgeschwindigkeitszug sondern in etwa die japanische Version eines alten Intercity – durchgesessene Sitze, merkwürdige Farbgestaltung und irgendwie nur so semi-komfortabel. Zusätzlich war unser erste Klasse Wagen ziemlich gut gefüllt und ich musste wirklich kämpfen, um unser Gepäck unterzubringen. Irgendwie klappte es aber und wir tuckerten etwa zwei Stunden durchs Land, in denen ich mich kurz mit den Sehenswürdigkeiten von Kyoto beschäftigte, bis es mich überkam: Wieso sehen hier alle Sehenswürdigkeiten gleich aus? Überall nur diese Tempel und Schreine. Wieso gibt es hier kein vernünftiges Essen? Und wieso sind wir eigentlich nach Japan geflogen? Ich hinterfragte alle und verlor mit einem Mal die Lust an dieser Reise. Nach etwas rumdösen ging es dann aber schon wieder halbwegs und ich konnte mich den Rest des Weges über die schnarchenden Japaner um uns herum echauffieren.
In Kyoto am Bahnhof angelangt, warteten zwei Überraschungen auf uns. Zum einen war es plötzlich sommerlich warme 25 Grad warm, zum anderen war es brechend voll – in der Tat keine unbedingt angenehme Kombination. Überall im Bahnhof rannten scheinbar überforderte Touristen mit ihrem Gepäck kreuz und quer umher, als würden sie verzweifelt nach ihrer Mama suchen. Das war das erste Mal, dass wir das Gefühl hatten, dass ein japanischer Bahnhof so überlaufen ist, wie man es im Internet auf jeder Seite liest. Da wir Hunger hatten, holten wir uns aber trotzdem noch schnell bei 7Eleven einen Snack, bevor wir die wenigen Minuten zum Hotel liefen. Dort angekommen der nächste Schock: die freundliche Dame an der Rezeption sprach tatsächlich fließend Englisch. Und dazu auch noch ein paar Sätze Deutsch. Hatte der Thunderbirdo uns in ein anderes Japan gebracht? Oder strömten im Zug nur Gase aus, die unsere Wahrnehmung veränderten? Wie es auch immer war, wir kamen dann in unser Zimmer und siehe da: es war tatsächlich ein Hotelzimmer, das den Namen verdiente. Sandra nutzte den neu gewonnenen Platz um ihren Koffer sofort gänzlich auszupacken und Klamotten zu waschen. Wer kommt nicht auf die Idee, wenn man irgendwo neu ankommt? Ich hingegen gammelte auf dem Bett rum, studierte die Wettervorhersage und wunderte mich, wieso die eine Wetter-Seite sagt, es wäre klar und sonnig, obwohl es das nicht war, während die andere behauptete, es wäre total bewölkt, was aber auch irgendwie nicht passte. Irgendwann rafften wir uns dann doch noch auf und fuhren mit dem Zug zwei Stationen weiter, um den Fushimi Inari-Taisha Schrein zu besuchen. Das besondere hier, sind die über 1000 Torii, die das Schreingelände säumen.
Wenn man die ersten Menschenmassen, die sich in bester Weihnachtsmarkt-Manier durch die zu Beginn recht engen Tore drängen, hinter sich gelassen hat, wird es sogar wirklich ein ganz schöner Weg quer durch den hügeligen Wald. Gleichzeitig musste mich aber meinen akuten Menschenhass immer wieder im Zaum halten, denn wahlweise standen die Leute professionell im Weg rum, oder versauten auf verschiedenste Arten Fotos. Es gelang mir aber und letztlich war sogar die ganze Anlage auch angesehen von den Torii einen Besuch wert.
Im Anschluss bummelten wir noch etwas durch das Viertel um den Schrein denn, wie sollte es auch anders sein, ich wollte noch einen Retro-Game-Shop besuchen. Und kaum hatten wir den Bahnhof hinter uns gelassen, waren wir die einzigen Touristen weit und breit und konnten das sehr angenehme Wetter bei unserem Spaziergang durch eine typische japanische Vorstadt auf uns wirken lassen.
Wir kehrten schließlich mit dem Zug zum Bahnhof Kyoto zurück und gingen, nach kurzem Zögern, in ein Nudelrestaurant in Selbigem. Überraschenderweise schmeckten unsere Speisen sogar gut und weil wir die größtmöglichen Portionen bestellten, LargeLarge (LL) weil XtraLarge (XL) scheinbar als zu fett erachtet wird, waren wir sogar einigermaßen gesättigt. Was für eine Stadt dieses Kyoto doch ist!
Nach einer ruhigen, wenn auch zu kurzen Nacht (ich musste ja unbedingt noch das Dortmund-Spiel bis zum Ende schauen) klingelte der Wecker, wie so oft, zu unpassender Zeit. Da wir uns für den Tag aber ein straffes Programm vorgenommen hatten, war das frühe Aufstehen leider alternativlos. Nach dem Duschen ging es auch mit der Müdigkeit und so gingen wir das erste Mal zum Frühstück in unserem Hotel in Kyoto. Erstaunlicherweise war die Auswahl ziemlich groß, aber ganz ehrlich: so wirklich überzeugend war davon irgendwie nichts. Viel hilft halt nicht immer viel. Trotzdem konnten wir gesättigt in den Tag starten und schon als wir das Hotel verließen, war es angenehm warm. Da unsere Ziele an diesem Tag gefühlt alle so weit voneinander entfernt lagen, wie es auf dem Stadtgebiet nur irgendwie möglich ist, entschieden wir uns tatsächlich eine Tageskarte für Bus und U-Bahn zu kaufen. Was ist aus uns nur in diesem Land geworden? Trotzdem fuhren wir zunächst mit der klassischen Bahn bis nach Arashiyama. Dort reihten wir uns in die Horden anderen Touristen ein und folgten ihnen bis zum ersten Ziel: dem berühmten Bambuswald.
Was hier wirklich toll aussieht, war in Wirklichkeit ein kurzes Stück Weg zwischen den hohen Bambusstämmen, auf denen sich haufenweise Menschen im Schneckentempo hindurch schoben, um immer mal wieder im Weg zu stehen und ein Selfie zu machen. Im Gegensatz zum Rest der Meute verließen wir den Wald am Ende des Weges in eine andere Richtung um noch etwas durch das Viertel zu spazieren und siehe da, plötzlich waren wir, wie bereits am Vortag, fast allein und wir konnten diesen schönen Vorort doch tatsächlich noch in Ruhe erkunden.
Dummerweise mussten wir zurück in das Menschenchaos, um erstmals mit dem Bus zu fahren. Die Straßen vor Ort waren definitiv viel zu voll und so wunderte es nicht, dass der Bus mit einiger Verspätung ankam. Danke GoogleMaps wussten wir zumindest, welchen Bus wir nehmen mussten und auch in welche Richtung. Gleichzeitig waren wir aber plötzlich auch Teil einer kleines australischen Reisegruppe mit ihrer Fremdenführerin und konnten so einiges über Japan und auch über Deutschland lernen. Denn eine der Reisenden hat für 6 Monate in Deutschland gelebt und äußerte eindeutig ihre Verwunderung, wie flach das Land doch wäre und das es ja keinerlei Hügel gäbe, während ihre Heimat Brisbane ja total bergig ist. So lernt man sogar in Japan etwas über die Heimat, ist das nicht schön? Nach einmal Umsteigen und etwa 35 Minuten Fahrt kamen wir dann an unserem zweiten Ziel des Tages an: dem Kinkaku-ji Tempel. Ja klar werdet ihr denken, erst rumjammern, dass Tempel mittlerweile uncool sind, aber dann doch wieder einen angucken. Im Gegensatz zu anderen Tempel ist der Kinkaku-ji aber mit Gold verziert. Das ist ja wohl definitiv mal was anderes, oder?
Anders war allerdings hier auch der Ablauf auf dem Tempel-Areal. Denn zum einen war es wahnsinnig voll, zum anderen konnte man nur einen festgelegten Weg durch das Gelände beschreiten. Anders kriegt man die Selfie-freudigen Touristen hier wohl auch einfach nicht durchgeschleust.
Da es in der Sonne mittlerweile echt warm geworden war, gönnten wir uns eine kurze Pause im Schatten, um den weiteren Schlachtplan zu überdenken. Wir entschieden uns zunächst dazu, über die Burg Nijo Richtung Kaiserpalast zu fahren, um dann dort zu essen. Als wir schon im Bus saßen, kam dann aber die Rolle rückwärts und das Mittagessen wurde in der Prioritäten-Hierarchie an die Spitze katapultiert. So stiegen wir die nächste Haltestelle wieder aus, stiegen in den Bus in die andere Richtung und fuhren direkt zum Essen. Diesmal entschieden wir uns, als echte Gourmets und Connaisseure der japanischen Küche, wieder für etwas ganz klassisch japanisches: Falafel. Auch hier sprach man tatsächlich Englisch, das Essen war lecker und wir waren danach ziemlich satt. Sollte Kyoto womöglich der Wendepunkt dieser Reise sein?
Mit vollem Magen, also abgesehen von dem obligatorischen Platz für ein Eis auf dem Weg, ging es dann weiter zum Kaiserpalast. Wir durchliefen ein riesiges Gelände und was sahen wir auf diesem Weg? Nicht den Kaiserpalast. Der versteckte sich nämlich hinter Mauern und ohne frühzeitige Anmeldung kommt man nicht rein. Danke dafür. So steuerten wir auf der anderen Seite des großen Parks die nächste U-Bahn Haltestelle an und fuhren zur Burg Nijo. Aber auch dieser Abstecher war nur von kurzer Dauer. Denn der Eintritt betrug 1000 Yen und für etwas mehr als 8 Euro sahen wir es gar nicht ein, uns so ne doofe Burg anzugucken. Kennste eine, kennste alle, ist doch klar. Und wir hatten ja schon Burgen gesehen. Also wieder ab in den Untergrund, danach Wechsel zum Bus und anschließend ein Aufstieg durch Menschenmengen, als gäbe es was umsonst.
Der Weg durch das eigentlich schöne Viertel ähnelte einem Hindernislauf: Souvenirladen ignorieren, Verkäufer mit Sachen zum probieren übergehen, langsame Menschen überholen, als Geisha verkleideten Touristen mit Handys ausweichen – eine ganz schön knifflige Angelegenheit. Am Ende erreichten wir aber trotzdem den Tempel Kiyomizu-dera, schmissen fast schon das Eintrittsgeld ins Kassenhäuschen und überholten so noch ein paar Touristen-Zombies. Das Hauptgebäude mit seiner großen Holzterrasse wurde leider renoviert und war komplett verhüllt, aber der Rest des wunderschön gelegenen Parks war zugänglich und entschädigte uns mit einem fantastischen Ausblick über Kyoto.
Wir verweilten hier kurz, genossen das schöne Wetter und die Aussicht und machten uns dann auf den Weg zurück ins „Tal“. Unsere Zielliste für den Tag war an diesem Punkt abgearbeitet, aber es war irgendwie noch Tag übrig, also nahmen wir den Bus in Richtung Shopping Distrikt, ohne auch nur den Hauch einer Ahnung zu haben, was uns dort erwartete. Kaum angekommen, wurde uns klar: hier ist also das moderne Kyoto. Kaufhäuser, Läden ohne Ende, so wie man sich eine Shoppingmeile halt vorstellt. Und natürlich war es auch hier, wie sollte es anders sein, brechend voll. Wobei wir uns immer wieder die Frage stellten: wie kommen diese ganzen Leute von A nach B? Denn egal welches Verkehrsmittel wir nutzten, wirklich voll war es nie. Ein Mysterium, welches wir wohl nicht so einfach lösen können. Könnte das Thema mal bitte jemand an Galileo weitergeben? Vielleicht machen die da einen poppigen Beitrag draus und wir kriegen die Antwort auf diesem Weg. Uns jedenfalls reichte ein kurzer Aufenthalt bei den kauflustigen Leuten (ja, so eine Aussage kommt tatsächlich vom Konsumkind persönlich) und so machten wir uns, mit einem kurzen Umweg über den Family Mart, mit dem Bus auf den Heimweg ins Hotel. Trotz der ganzen Busfahrten kamen wir auf 20km Fußweg in der Sonne. Ich denke, da hat man sich einen entspannten Abend auch mal verdient. Und falls ihr jetzt denkt: Kyoto hat doch unzählig viele Tempel und Schreine, wieso schreibt der Torfkopf denn nur von zwei besuchten Tempeln? Nun ja, wie schonmal erwähnt, waren wir des Landes ja ein wenig überdrüssig. Um den Zustand nicht nochmal aufkommen zu lassen, spielen wir lieber Kulturbanausen und gucken uns nur das an, was wirklich „besonders“ ist.
Kyoto ist wirklich eine tolle Stadt, wahrscheinlich sogar die Stadt Japans schlechthin, aber da wir zuvor schon so viele andere kulturell bedeutsame, historische Orte gesehen haben, sind wir wohl einfach überreizt. Und Kyoto ist einfach die volle Dröhnung Japan, hochkonzentriert und bereit zur Aufnahme. Also shame on us, aber so sind wir nunmal.