Ich hätte nicht so schnell damit gerechnet, aber nach nur einer Nacht außerhalb von Tokio vermisste ich unser dortiges Hochbett-Hotel schon. Denn mal abgesehen davon, dass unser Zimmer in Nagano nicht gerade das größte war, war das Bett recht klein, sodass die Nacht nur bedingt das volle Erholungspotenzial entfalten konnte. So richtig kam das Vermissen aber eh erst beim Frühstück durch. Denn statt lecker Blätterteig mit Sahne und Früchten hatte man das volle japanische Programm aufgezogen: Fisch, Suppe, Reis, alles was dazu gehört. Ich als Freund von süßem Frühstück war ziemlich bedient, probierte aber zumindest etwas und aß mich dann mit trockenem Reis halbwegs satt. Anschließend packten wir unseren Kram und marschierten mit unseren Koffern unter trist-grauem Himmel zurück zum Bahnhof. Nach kurzer Wartezeit hatten wir unsere Sitzplatzreservierungen für die Weiterreise und waren eigentlich bereit zum Aufbruch aus Nagano. Aber ich hatte noch etwas vor, also parkte ich Sandra mit all unserem Gepäck am Bahnhof und lief nochmal los zu Hard-off, meinem favorisierten Second-Hand Laden hier in Japan. Mit Ladenöffnung musste ich noch zwei Spiele-Klassiker mitnehmen (Hallo, es ging hier schließlich um Pokemon rot und blau!), zu denen ich mich am Vortag nicht durchringen konnte. Nach erledigter Mission lief ich dann zurück zum Bahnhof, sammelte Sandra wieder ein und ab ging es mit dem Shinkansen nach Toyama. Noch nie gehört? Keine Schande, denn angeblich liegt die Stadt auf Platz 155 von 199 der meistbesuchten Städte in Japan – ein richtiger Leckerbissen also, womöglich das Bielefeld von Japan. Wir hatten Toyama auch nur als Ausgangspunkt für zwei Ausflüge gewählt. Den Weg dorthin haben wir, natürlich, wieder zu großen Teilen verschlafen, bevor wir dann nach unserer Ankunft unser gefühlt tonnenschweres Gepäck 20 Minuten hinter uns her zu unsere nächsten Unterkunft schleifen mussten. Dort gaben wir das Zeug aber auch nur ab und machten uns sofort wieder auf den Weg zurück, denn wir wollten ja noch wohin. Unser Ziel diesmal hieß Takayama, ein Ort in den Bergen mit einer schön erhaltenen Altstadt. Und da dort nur drei Mal am Tag überhaupt ein Zug hinfährt, mussten wir die Chance natürlich nutzen. Mit einem Weg-Snack bewaffnet stiegen wir dann in die erste Klasse der Bummelbahn, die hier in Japan übrigens auch sehr gut funktionierendes WLAN hat (kleiner Gruß an die Deutsche Bahn) und düsten lockere 90 Minuten über Land und durch etwas, was anmutete wie die japanische Eifel – nur halt mit gutem Internetempfang. Während der Fahrt hatte ich aber zugegebenermaßen ziemlich Angst vor einem plötzlich Tod durch umstürzende Bäume. Denn ein Japaner in unserem Abteil schnarchte so dermaßen laut und ausdauernd, als würde er den ganzen Wald am Streckenrand abholzen wollen.
In Takayama angekommen waren wir dann überrascht, wie viele Leute mit viel Gepäck aus dem Zug stiegen – wir hatten schließlich genau 2,5 Stunden Zeit für unseren Aufenthalt eingeplant, damit wir den letzten Zug des Tages zurück nach Toyama nehmen konnten. Im Gegensatz zu den bepackten Mitreisenden, konnten wir aber sofort in die Altstadt laufen und erarbeiteten uns so einen kleinen Vorteil. Dummerweise war die Stadt eh schon voll, aber insgesamt auch ganz schön und mal was anderes.
Letztlich war es aber der bisher mit Abstand touristischste Ort auf unserer Reise. Ein Lokal mit örtlichen „Spezialitäten“ reihte sich an Läden mit Souvenirs und Handwerkskunst. Da wir genug Zeit hatten, besuchten wir gefühlt jeden Laden und kauften dabei Essstäbchen für zuhause – weil man das nach einer Japan-Reise wohl einfach braucht. Anschließend wollten wir eigentlich bei einem örtlichen Thailänder etwas essen, aber dort standen wir vor verschlossener Tür. Also suchten wir die nächstbeste Alternative und landeten bei EvilTex – einem mexikanisch-amerikanischem Restaurant. In Takayama. In Japan. Und siehe da, es war gut und wir wurden beide satt. Damit hätte niemand mehr gerechnet. Es sollte der Beginn einer kurzen Serie von Überraschungen an diesem Abend sein. Wir stiegen dann zufrieden in den Zug zurück und konnten dann auch endlich in unser Hotel einchecken. Freundlicherweise hatte man unser Gepäck in der Zwischenzeit bereits auf unser Zimmer gebracht, wobei ich mich Frage, wie viele der kleinen, schmächtigen Japaner sie dafür wohl brauchten. Mein Koffer allein entspricht ja ungefähr der Einheit ein Japaner. An der Rezeption mussten wir aber erstmal die Schuhe ausziehen, denn im gesamten Haus galt Schuh-Verbot. Gut, dachten wir, so ist das in Japan ja manchmal. Aber es wurde noch japanischer: denn unser Zimmer war schlichtweg winzig. Mit unseren Koffern (geschlossen und stehend) war das Zimmer voll. Aber Hauptsache eine fast quadratische Badewanne, in die Wasser aus der örtlichen heißen Quelle geleitet werden kann, ist vorhanden – braucht man einfach viel dringender als Platz.
Die Nacht in einem Bett nahezu auf dem Boden mit einem Kissen, dass eher an ein dickes Holzbrett mit Stoffbezug erinnerte, war dann auch eher semi-gemütlich. Auf Frühstück hatten wir in diesem Hotel verzichtet, denn für den Preis, der dafür aufgerufen wurde, ernähren wir uns im Regelfall den gesamten Tag.
So zogen wir diesmal bei strahlendem Sonnenschein, wie man hier am Rathaus von Toyama sehen kann, los, versorgten uns mit Frühstück vom nahe gelegenen Family Mart und machten uns auf zum Bahnhof, um mit dem nächsten Shinkansen die lachhafte Strecke von 30 Minuten bis nach Kanazawa zu fahren. Diese Großstadt ist bei Japanern aufgrund ihrer historischen, kulturellen Bauten auch als kleines Kyoto bekannt und da bot es sich für uns natürlich an, uns das mal anzuschauen.
Ohne einen wirklichen Plan, was wir uns denn alles ansehen wollten, liefen wir vom Bahnhof aus los und landeten wenige Minuten später irgendwie im Omicho Market, einem großen Markt mit haufenweise Früchten, Klamotten und vor allem Meeresfrüchten so weit das Auge reicht.
Statt Fisch kauften wir aber nur zwei Stücke Ananas am Stiel und setzten unseren Spaziergang fort, der uns dann als nächstes zum Burgpark von Kanazawa führte. Dieser war schon ganz schön, aber im Vergleich zum Park auf der anderen Seite der Straße, stank dieser ziemlich ab. Dort befand sich nämlich der Kenroku-en, einer der drei berühmten Gärten Japans. Die Touristen stapelten sich zwar förmlich vor dem Eingang, im Park selbst verlief es sich dann aber erstaunlich gut und man hatte im Grunde genommen überall Zeit, die schön angelegte Anlage zu begutachten und zu genießen.
Uns gefiel es hier wirklich gut, gleichzeitig war aber bemerkenswert, wie sich im Grunde alle Touristen um die blühenden Bäume versammelten wie Motten um das Licht, obwohl der Rest des Parks mindestens genauso schön anzusehen war. Nach einer kurzen Rast bei ein paar Koi-Karpfen im Teich machten wir uns dann wieder auf den Weg, schlenderten durch ein paar Souvenir-Läden und genossen ansonsten die Sonne. Was für ein tolles Wetter! Auf dem Weg zu unserem nächsten Ziel, einem historischen Viertel der Stadt, gab es dann einen Mittagssnack, der mich offensichtlich auf den Tiefpunkt meiner bisherigen Ernährung in Japan beförderte: ein Hotdog, kalt und in Plastik verpackt für etwas einen Euro. Was ich doch für ein Gourmet bin. Ungeachtet dieser Leckerei erreichten wir die historischen Häuser dann aber zur genau richtigen Zeit, denn als wir dort waren, war es angenehm ruhig und irgendwie gefiel es uns so direkt viel besser, als es tags zuvor in Takayama der Fall gewesen ist.
Womöglich lag es aber auch daran, dass der Bereich hier nicht vordergründig alles auf den Massentourismus ausgelegt hat. Als wir aber gerade weiterzogen, kamen gerade mehrere Busse an und füllten das Viertel merklich. Ob wir es dann noch so angenehm empfunden hätten, ist wohl fraglich. Apropos angenehm: an diesem Punkt war der sehr schöne und angenehme Teil des Tages unwissentlich vorbei. Woran das lag? Zum einen an mir, zum anderen an verschiedenen Japan-bedingten Faktoren. Mein Zutun war wieder einmal ein Ziel weit ab vom Schuss, nämlich ein Hard-Off Reuse Store. Dieser machte eine etwa 45 minütige Wanderung quer durch die Stadt notwendig, ohne auch nur an irgendetwas sehenswertem vorbeizukommen. Da war selbst ich genervt. Dafür wurde ich mit noch ein paar Schnäppchen für das Retrospiele-Museum zuhause entschädigt – Great Success! Der Bezahlvorgang gestaltete sich aber etwas schwierig. Denn als ich der Kassiererin meine Kreditkarte überreichte, fragte oder besser sagte sie irgendetwas auf japanisch und schaute mich erwartungsvoll an. Ich zuckte mit den Schultern, sie erzählte was anderes auf japanisch. Ich schaute sie nur fragend an. Daraufhin ging sie zum Computer, tippte etwas in den Google-Übersetzer und ich schaute es mir an. Dummerweise hatte sie die Ausgabesprache nicht auf Englisch gestellten, sodass ihre Eingabe nur auf japanisch erschien – nicht gerade hilfreich für mich. Verzweifelt sprach sie dann einen Kollegen an, der winkte ab und plötzlich konnte ich bezahlen. Ich nehme an, sie wollte meinen Ausweis sehen, aber es war ihr leider nicht möglich, die vorhandene Sprachbarriere zu überspringen.
Der Plan sah nun vor, im Anschluss im benachbarten Shoppingcenter etwas zu Essen. Dummerweise hatte ich nicht damit gerechnet, dass es kein Shoppingcenter sondern eher ein japanischer Kaufhof war und die wenigen Restaurants so gar nix von unserer Schrift auf Speisekarten hielten. Schon etwas frustriert wollten wir dann die vorhandenen Sitzgelegenheiten nutzen, um uns ein anderes Restaurant zu suchen, aber dabei gab es zwei Probleme: zum einen trat direkt hinter uns plötzlich irgendeine Teenie-Band auf und trällerte Songs, bei denen ich Glück hatte, nicht aus den Ohren zu bluten. Zum anderen konnten wir einfach bei Tripadvisor nicht ein einziges Restaurant mit vegetarischen Optionen finden – weder in Kanazawa, noch „zuhause“ in Toyama. Bevor mein Trommelfell dann endgültig die Segel streichen konnte, verließen wir den Kaufhof mit der Erkenntnis: hier in der Gegend verlaufen sich europäische Touristen wohl eher selten hin. Also ging es zurück zum Bahnhof und mit durchaus vorhandener Frustration mit dem Zug zurück nach Toyama. Dort reservierten wir schon einmal problemlos unsere Sitzplätze für die Weiterreise am nächsten Tag und hatten uns schon mit dem Gedanken abgefunden, heute auch die Hauptmahlzeit im Supermarkt zu uns zu nehmen. Doch plötzlich kamen wir an einem Café/Restaurant vorbei, was auf ausgestellten Bildern danach aussah, als gäbe es nicht nur gebratenes Fleisch. Wir gingen hinein, fragten nach einer englischen Karte und bekamen stattdessen die japanische Karte mit einzelnen Worten der Bedienung in Englisch. Rückfragen wurden jedoch auf japanisch beantwortet. Lief also super. Da es aber eh nur drei Gerichte gab, zeigte Sandra auf das, welches am ehesten vegetarisch aussah und plötzlich reichte uns eine andere Bedienung eine Karte mit unseren Buchstaben – eine wirklich schwere Geburt. Wir bestellten dann beide Doria, eine japanische Form von Gratin, und waren gespannt, was wir kriegen sollten. Genau in diesem Moment war es dann soweit: nach den Frustrationen des Tages war Sandra an dem Punkt angelangt, an dem sie des Landes hier überdrüssig wurde. Plötzlich war alles Mist und der Urlaub gelaufen. Erstaunlicherweise war dann das Essen aber sogar ganz lecker, auch wenn es nicht so aussah, und die Laune besserte sich wieder leicht. Vegetarisch war es allerdings nicht, denn etwas fischartiges und ein Shrimp hatten sich in die überbackene Reispampe verirrt. Als Nachtisch gab es dann noch Crepes, also auch klassisch japanisches Essen, aufgrund der weiterhin stetig vorhandenen Sprachbarriere aber auch hier wieder nicht mit der erhofften Füllung.
Zumindest satt spazierten wir dann noch den restlichen Weg zu unserem „Hotel“ und stellten fest, dass Toyama doch eigentlich gar nicht so schlimm war, wie gedacht. Denn zumindest die örtliche Burg und der quasi ständig vorhandene Blick auf die schneebedeckten japanischen Alpen am Horizont waren doch irgendwie ganz schön.
Nachdem wir uns dann bei unserem Lieblingssupermarkt 7Eleven noch mit Snacks für den Abend und dem Frühstück für den nächsten Morgen eingedeckt hatten, trafen wir auf die letzte Sprachhürde des Tages. An der Rezeption wollten wir eigentlich nur ankündigen, dass wir am nächsten Morgen im kostenlosen Shuttle-Bus zum Bahnhof mitfahren möchten. Der erste Mitarbeiter rief sofort eine Kollegin dazu, die uns dann erklärte, dass wir entweder sieben oder dreißig Minuten vor der Abfahrtszeit des Fahrplans an der Rezeption sein müssten. Ihre Aussprache ließ beide Optionen gleich wahrscheinlich klingen, daher bedankten wir uns, wurden mit freundlichem Nicken verabschiedet und gingen einfach unverrichteter Dinge in unsere Kammer. Ob das mit den Essens- und Sprachproblemen in Kyoto wohl anders wird?