Die erste Erkenntnis des neuen Tages kam früh. Sehr früh sogar. Denn nachdem ich gestern noch groß getönt habe, wie gut das Aufstehen ohne Wecker klappt, kam heute das böse Erwachen. Um 5:45 (gleichbedeutend mit 4:45 der bisherigen Zeitzone) riss mich der Klang des Weckers jäh aus dem Schlaf und machte mir gleichermaßen klar, dass ich doch noch kein Rentner bin und dass ich doch gefälligst mehr schlafen sollte. An diesem Morgen blieb mir aber nichts anderes übrig als so früh aufzustehen, schließlich mussten wir, aufgrund der anhaltenden Waldbrände, noch mal eben von der Westseite des Gebirgszuges auf die Ostseite – klingt so wenig spaßig wie es dann auch war. Wer beginnt einen Samstag nicht gern mit 2,5 Stunden Autofahren kurz nach Sonnenaufgang? Nun ja, ich. Dass der Himmel dann auch noch erstmals auf dieser Reise von Wolken verhangen war, sorgte nicht gerade für eine Aufhellung meiner Laune. Als wir dann auf der anderen Seite der Berge wieder plattes Land sahen, welches von der Sonne gesegnet wurde, keimte kurz Hoffnung auf, dass die Wolken sich doch noch auflösen könnten.
Doch diese Hoffnung wurde spätestens in dem Moment mit Wanderschuhen zurück in den Boden getreten, als wir auf dem Logan Pass, dem höchsten Punkt unserer heutigen Reise in den Glacier Nationalpark, ankamen und von der Sonne oder blauem Himmel keine Spur zu sehen war. Auf diesen Schock folgte direkt der nächste, als ich aus dem Auto stieg und sich meine Genitalien vor Kälte sonstwohin verzogen. Irgendwie hatte es dort oben nur noch 8 Grad, gepaart mit einem Wind, der sich zum Ziel gesetzt hatte, auch noch den letzten Hauch von Sommer aus den Menschen zu vertreiben. Wie gut, dass das wetterfesteste Kleidungsstück in unserem Gepäck Regenjacken waren und wir so mit diesen und verschiedenen Schichten sonstiger Oberteile gegen die Temperaturen ankämpfen mussten. Wozu das Ganze? Für eine gar nicht Mal so flache Wanderung zum Hidden Lake Overlook, von wo man eine schöne Aussicht haben sollte. Vorausgesetzt nicht alles liegt in tristen Wolken wie bei uns. Immerhin Riss die Wolkendecke zumindest auf dem Rückweg ein bisschen auf, sodass wir mit einem schönen Blick über die sub-alpine Bergwelt belohnt wurden.
Ganz nebenbei lernten wir auch Teile der örtlichen Tierwelt kennen. Zwei Bergziegen lungerten lässig auf einem Hang herum (sie waren wahrscheinlich die coolsten ihrer Herde), Eichhörnchen turnten über die Wiesen und Streifenhörnchen huschten überall entlang auf der Suche nach Nahrung. Teilweise suchten sie aber sicherlich auch verzweifelt nach Aufmerksamkeit wie die Teilnehmer beim Sommerhaus der Stars oder Promi Big Brother, denn wie ist es sonst zu erklären, dass ein Streifenhörnchen sich auf Sandras Fuß niederließ, nur um anschließend vor meiner Kamera zu posieren? Ganz schön bedürftig diese Tiere.
Auf der Rückfahrt durch das Glacier Valley wollten sich dann auch noch ein paar Kühe ins Rampenlicht drängen und entschlossen sich kurzerhand dazu, dass sie doch das Gras direkt an der Straße mal probieren wollten und blockierten mit ihren Hinterteilen so den fließenden Verkehr. Trotzdem schafften wir es, den Park zu verlassen nur um wenige Meilen weiter an einer anderen Stelle wieder hinein zu fahren. Im Bereich der Many Glaciers wollten wir auch nochmal aus einem anderen Winkel einen Blick auf den Park werfen und ich muss sagen, die Fahrt hat sich wirklich gelohnt. Wie fotogen die Natur sein kann ist teilweise schon echt verrückt oder? Das schaffen nicht einmal die fame-geilsten Instagram-Models so locker. Insgesamt muss ich auch zu diesem Nationalpark sagen, dass er einfach mega war. Wunderschöne, raue Natur, Tiere, das Ganze auch wunderbar erschlossen – das können die Amerikaner wirklich gut. Jetzt müssen sie nur noch lernen, dass ihr Umgang mit Ressourcen genau diese tollen Naturwunder zerstört. Hoffen wir, dass sie das irgendwann tun.
Anschließend machten wir uns auf den Weg zu unserer nächsten Unterkunft in Pincher Creek. Noch nie gehört? Wir auch nicht, aber wohin man erneut 2 Stunden fährt, da muss es doch auch gut sein, oder? Nicht ganz, denn der Ort war schlicht und ergreifend der erste entlang unserer Route, wo man ein vernünftiges Hotel finden konnte. Den Grund dafür erfuhren wir dann am eigenen Leib: zwischen dem Glacier Nationalpark und Pincher Creek liegen etwa 140 Kilometer, die amerikanisch-kanadische Grenze und ansonsten absolut gar nichts außer Felder und plattes Land. Der Grenzbeamte wirkte dann auch in etwa so erfreut uns zu sehen, als würden wir ihm mitteilen, dass eine Wurzelbehandlung unumgänglich sei. Rein ließ er uns trotzdem und so brachten wir auch die ersten Kilometer auf kanadischem Grund hinter uns. Schön ist anders, aber nach etwa 2000 Kilometern in nicht einmal einer Woche nimmt man mittlerweile fast gar nicht mehr wahr, wie lange man eigentlich im Auto sitzt. Zur Feier des Tages ging es dann Abends noch zum besten Restaurant der Stadt: The Grill. Auf dem Weg dorthin spazierten uns auf der Straße noch zwei Rehe entgegen, die sich einen Snack von Sträuchern im „Stadtzentrum“ gönnen wollten. So idyllisch hätte man dieses Pincher Creek gar nicht erwartet. Das Essen im The Grill war dann so einfallsreich wie der Name, aber satt wurden wir trotzdem. Man muss ja gestärkt sein, wenn man die entgültige Verwachsung mit dem Jeep fortsetzen will. Beim abendlichen Tanken habe ich sogar versucht, diese zu beschleunigen, indem ich mir etwas Benzin über die Füße goss. Außer einem benebelnden Geruch passierte aber leider nichts. Mein Weg zum Transformer scheint also noch nicht abgeschlossen zu sein. Ich bleibe dran.