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USA/Kanada 2018: Waterton Lakes National Park und Calgary

Sonntagmorgen in Pincher Creek: der Wecker klingelt (mittlerweile klappt es mit dem frühen Aufstehen nicht mehr so einfach), der Blick geht auf’s Handy und die Wetter-App sagt überwiegend bewölkt. Das kann doch nicht wahr sein, dachte ich, riss die Vorhänge auf und was sah ich? Strahlend blauen Himmel, keine einzige Wolke in Sicht. Verbreitet nun auch schon weather.com bewusste Fake-News um meine Stimmung zu beeinflussen, damit ich Einwanderern die Schuld für schlechtes Wetter gebe? Ich kann es nicht ausschließen, aber in diesem Fall sollte es mir egal sein, denn so ging es nach dem Frühstück direkt wieder ins Auto und ab zurück Richtung amerikanische Grenze. Ja, richtig gelesen, denn der Glacier Nationalpark aus den USA geht quasi nahtlos an der Grenze in den Waterton Lakes Nationalpark in Kanada über, also durften wir uns den nicht entgehen lassen. Als wir nach etwa 45 Minuten Fahrt durch die trockene kanadische Prärie am Eingang des Parks ankamen dachte ich mir nur: wow, das ging aber flott. So kurze Strecken bin ich einfach nicht mehr gewöhnt. Aber es war schon cool zu sehen, wie die Prärie fließend in die Berglandschaft übergeht.

Vor Ort bestätigte sich dann aber das, was sich bei der Recherche am Vorabend bereits angedeutet hatte. Da es im Waterton Lakes Nationalpark im letzten Jahr ordentlich gebrannt hatte, waren viele Straßen und Wanderwege gesperrt und somit für uns nicht erkundbar. Die Zerstörung des Feuers hingegen war unübersehbar, denn die Hänge um das kleine Dorf im Park waren kahl gebrannt und es grenzt an ein Wunder, dass nicht auch das komplette Dorf zerstört wurde. Da die Auswahl an Möglichkeiten also begrenzt war, parkten wir das Auto und flanierte einfach etwas umher. Am Seeufer pfiff dabei der Wind so sehr, dass ich mich mit Jacke und Kapuze fast schon in South Park Kenny verwandelte und quasi durchgehend Angst hatte, gleich durch irgendeinen dummen Zufall umzukommen. Der Blick über den Upper Waterton Lake entschädigte aber für dieses Risiko definitiv – einfach idyllisch.

Die Idylle wurde nur vom verbrannten Geruch in der Luft gestört, da es in den Bergen auf der anderen Seite des Sees auch in diesem Sommer brennt. Die Wälder sind einfach viel zu trocken. Der Nationalpark hat seinen Namen übrigens daher, dass drei Seen, Lower, Middle und Upper Waterton Lake, auf kurzer Distanz quasi ineinander übergehen. Nicht gerade einfallsreich, aber definitiv schön. Und ganz nebenbei auch noch ein weltweit einmaliger Ort. Denn nur der Waterton Lakes National Park ist gleichzeitig Nationalpark, UN Weltnaturerbe und internationaler Friedenspark – hört, hört!

Nach genug See-Begutachtung ging es dann wieder ins Auto und wir machten uns auf den Weg nach Calgary, der de facto ersten „echten“ Stadt auf unserer Reise. Dieser Weg führt etwa drei Stunden gen Norden und, komischerweise, erst einmal exakt die gleiche Strecke wie auf dem Hinweg zurück nach Pincher Creek. Entweder war es Zufall oder Pincher Creek ist der Knotenpunkt des kanadischen Verkehrsnetzes. Hier oben scheint alles möglich, aber ich halte die Variante, dass es in der Region einfach kaum Straßen gibt, für die wahrscheinlichere. Nach einer gemütlichen wie problemlosen Fahrt tauchte am Horizont irgendwann die Skyline von Calgary auf. Es war schon irgendwie ein beruhigender Anblick, endlich mal wieder richtige Häuser und Zivilisation zu sehen, nach all der Natur und dem platten, trockenen Land. Nach einem Stop auf dem Scotsman’s Hill zum Genießen der Skyline der Stadt schmissen wir unseren Jeep dann auch schon in der erstbeste Parkhaus in Downtown Calgary und marschierten los um die Stadt zu erkunden. Schließlich war noch reichlich vom Tag übrig und die Sonne schien – das muss man ja nutzen. Das Stadtzentrum rund um den Calgary Tower überraschte dann mit einer Mischung aus modernen Hochhäusern und einer Art zeitgemäßen Westernstadt. Denn in Erinnerung an die Western-Historie Calgarys ist die Stephens Avenue auf „alt“ getrimmt und erzeugt so einen besonderen Charme.

Aber auch sonst präsentierte sich die Stadt, die vor allem durch die kanadische Öl-Industrie Relevanz erlangt hat, durchaus charmant und weltoffen. Denn auf der einen Seite fand eine philippinische Fiesta statt, während in der anderen Ecke ein Fest für Offenheit und Gay-Pride veranstaltet wurde. Wieso bei solchen Veranstaltungen so viele Leute vor die Tür zu gehen scheinen, ohne vorher mal in den Spiegel zu gucken, blieb mir aber auch dort ein Rätsel. Wieso tragen Menschen, die weißere Beine haben als ich (ja, die gibt es wirklich) kurze Sachen und schwarze Stiefel? Und wieso erkennen Leute nicht, dass ihre Regenbogen- und Netzoberteile eher an Wurstgarn und -pelle erinnern als an passende Kleidungsstücke? Unabhängig davon hat mir Calgary aber gar nicht schlecht gefallen, vor allem auch durch die tollen Aussichtspunkte auf die Skyline. Und auch hier wurde ich wieder auf meinen einzigartigen Shirt-Style positiv angesprochen. Werde ich gar noch zum Trendsetter und sollte zum Fashion-Blogger umschulen?

Gegen Abend ging es dann zum Hotel welches, wie sollte es auch anders sein, fernab der Innenstadt und stattdessen direkt neben der Startbahn des Flughafens lag. Vor uns beim Check-in dann der Klassiker: eine indische Familie. Geschätzte 98 Kinder, 37 Erwachsene, wer zu wem gehört weiß niemand, und natürlich eine ältere Frau in traditioneller indischer Kleidung – so macht Reisen Spaß. Die Kinder diskutierten quer durcheinander, wie tief wohl der Pool des Hotels wäre und was man denn da alles machen könnte während ein Mann genau zwei Zimmerkarten ausgehändigt bekam. Ich will gar nicht wissen, wie sich die Leute über Nacht stapeln mussten. Zum Abschluss des Tages ging es dann noch zu einem Italiener zum Essen. Und, man mag es kaum fassen, es hatte sogar tatsächlich etwas mit richtiger Pizza zu tun. Damit hätte wirklich niemand gerechnet.

Da der erste Montag im September in den USA und Kanada traditionell Feiertag ist und der Labor Day begangen wird, schlossen wir uns als weltoffene Globetrotter natürlich den örtlichen Gepflogenheiten an und gönnten uns auch einen Off-Day. Statt wieder ohne Gnade Kilometer zu fressen, schliefen wir fast schon aus, frühstückten in Ruhe (wenn man zwischen einer Horde Inder und einer plötzlich dazu gestoßenen Horde anderer Asiaten von Ruhe sprechen kann) und chillten dann noch eine Runde auf dem Zimmer – inklusive Post-Frühstück-Nickerchen. Erst gegen Mittag brachen wir dann auf, aber auch nur um 10 Minuten zum nächstgelegenen Shopping-Outlet zu fahren. Dort aber der Schock: kaum freie Parkplätze und die ganze Mall voller Leute. Scheinbar kamen nicht nur wir auf die Idee, einen bewölkten Feiertag mit Shopping zu vertrödeln. Die Inder aus unserem Hotel hatten sich über Nacht scheinbar noch einmal vermehrt, denn sie waren auch in der Mall einfach überall. Die Verkäuferinnen an den Umkleiden in den Geschäften taten mir wirklich leid, da sie all die indischen Namen an die Kabinen schreiben mussten und es dabei eigentlich nur falsch machen konnten. Woher soll man als Kanadier denn auch wissen, wie mit indischem Akzent gesprochene Namen wie Singh, Lakshmi oder Shyama richtig geschrieben werden? Trotz der Fülle bekamen wir unsere Zeit gut rum, wurden das ein oder andere mal mehr oder weniger sinnvoll fündig und erlebten so einen entspannten Tag, ohne den Drang, uns etwas angucken oder weiterfahren zu müssen. Gleichzeitig wurde mein Selbstbewusstsein allerdings massiv untergraben. Niemand hatte mir ein Kompliment für mein Shirt gemacht. War mein Zauber so schnell verflogen? Hatte ich den Swag verloren? Ich denke eher, dass die Mall-Besucher einfach keinen Geschmack hatten und mich nur die coolen Amerikaner und Kanadier als Mode-Ikone erkennen. Hoffe ich zumindest.

An diese ungewöhnliche Ruhe sollten wir uns aber nicht gewöhnen, denn von Calgary geht es direkt in die kanadischen Rocky Mountains. Dort werden wir die nächsten Tage verbringen und wieder reichlich fahren, laufen und uns nach Zivilisation sehnen. Urlaub sollte ja keinesfalls erholsam sein, schließlich muss man doch was sehen, Das weiß doch wirklich jeder.

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